Als „Fermirechnungen“, oder „Fermiprobleme“ bezeichnet man Abschätzungen für ein Problem, zu dem anfangs praktisch keine Daten zur weiteren Überlegung zur Verfügung stehen.
Es ist benannt nach dem Kernphysiker Enrico Fermi, der dafür bekannt war, trotz mangelnder Informationen spontan gute Abschätzungen liefern zu können. Beispielsweise warf er beim ersten Atombombentest (Trinity-Test) Papierschnipsel in die Luft und beobachtete, wie weit diese durch die Druckwelle weggeblasen werden; daraus konnte er direkt vor Ort die ungefähre Sprengkraft der Bombe abschätzen, lange bevor die Sensormessungen ausgewertet waren.
Bei Fermirechnungen nutzt man also Zusammenhänge im Umfeld der Fragestellung, also ein gewisses Allgemeinwissen, um auf indirektem Wege zur Lösung des Problems zu kommen. Man kennt also zwar keine Daten zum Gesamtproblem an sich, kann sich aber mit Informationen und Erfahrungen zu Teilproblemen behelfen.
Typische Denkart: Es ist egal, ob 400 oder 300 in einer Rechnung verwendet wird, es ist etwa 400, nicht 40, und nicht 4000. Fehler werden mehrfach gemacht, aber die heben sich auf. Einmal zu viel einmal zu wenig. Die Größenordnung aber ist die Richtige.
Klavierstimmer in Chicago
Ein bekanntes Beispiel aus dem Alltag ist zum Beispiel die Fragestellung: „Wie viele Klavierstimmer gibt es in Chicago?“ Man hat keinerlei Statistiken und keine Vergleichsdaten. Man überlegt sich aber, wie viele Einwohner Chicago hat, wie viele davon im Schnitt ein Klavier besitzen, wie oft dieses gestimmt werden muss, wie oft alle Klaviere in Folge gestimmt werden müssen, und wie viele Klavierstimmer es dann ungefähr geben muss die mit einer 40h Woche diese Arbeit abdecken können. Ohne Daten zum konkreten Problem zu haben, hat man sich also durch Informationen zu Teilproblemen zu einer Antwort durchgearbeitet.
Annahmen:
Ungefähr 5 Millionen Leute leben in Chicago.
Ungefähr zwei Personen leben durchschnittlich in einem Haushalt.
Ungefähr in jedem zwanzigsten Haushalt gibt es ein Klavier, das regelmäßig gestimmt wird.
Klaviere werden ungefähr einmal pro Jahr gestimmt.
Es dauert etwa zwei Stunden, um ein Klavier zu stimmen, inklusive Fahrzeit.
Ein Klavierstimmer hat einen 8-Stunden-Tag, eine 5-Tage-Woche und arbeitet 50 Wochen pro Jahr.
Daraus ergibt sich die Zahl der pro Jahr zu stimmenden Klaviere in Chicago:
(5000000 Einwohner) / (2 Personen pro Haushalt) × (1 Klavier/20 Haushalte) × (1 Mal stimmen pro Klavier und Jahr) = 125000 Mal muss in Chicago pro Jahr ein Klavier gestimmt werden. Ein Klavierstimmer kann folgende Arbeit bewältigen: (50 Wochen pro Jahr) × (5 Tage pro Woche) × (8 Stunden pro Tag) / (2 Stunden pro Klavier) = 1000 Klaviere kann ein Klavierstimmer pro Jahr stimmen.
Demnach müsste es etwa 125 Klavierstimmer in Chicago geben. Dieses Wissen kann man beispielsweise so nutzen: Wenn man ein Geschäft eröffnen möchte, das Werkzeuge für Klavierstimmer verkauft, und aus einer weiteren Abschätzung weiß, dass man 10000 potenzielle Kunden braucht, sieht man, dass sich so ein Geschäft bei weitem nicht lohnen würde, selbst in einer Großstadt wie Chicago. Aber man kann seine Planungen modifizieren und jeweils nachrechnen, bis man auf ein vermutlich funktionierendes Geschäftsmodell gestoßen ist.
Quelle: Wikipedia
Die Vorgehensweise bei Fermi-Problemen ist grundlegend für die Naturwissenschaften: Durch das Lösen von Fermi-Problemen lernt man, ein komplexes Problem in einfachere Teilprobleme zu zerlegen, sowie klar zu benennen, von welchen Theorien/Voraussetzungen/Annahmen man ausgeht.
In der Physik wendet man Fermirechnungen oft an, wenn man Berechnungen ersetzen möchte, also nicht gleich am genauen Ergebnis interessiert ist, sondern Größenordnungen abschätzen möchte, oder zum Beispiel um Rechenfehler zu überprüfen oder auszuschließen.
Ein informatives Video zur Thematik (auf Englisch):
https://www.youtube.com/watch?v=5hiXaHpAJfA
Vielen Dank für die Freude, die Sie mir mit diesen Fragen machen!
Eine ähnliche Frage verfolgt mich seit einigen Tagen: Ein alter Mann kommt an einen Bergbach. Er setzt sich ans Ufer und erinnert sich, wie er als Knabe an einem Nachmittag vor 50 Jahren das Wasser des Baches hier staute.
Wie gross ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Wassermolekül vom Bach seiner Kindheit nun in seinem Alter erneut an ihm vorbeifliesst?
Grandiose Frage. 🙂 Die gebe ich gerne mal an Studierende weiter.